Geheimrat Krainsdorf b/Neurode Schlesien
G. von Schulze-Gävernitz
15.8.41
Liebe Mariele,
Ich benutze noch einmal die Schreibmaschine wegen meiner Augen.
Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der erschütternden Nachricht
daß Harald gefallen ist. Ich habe Harald geschätzt und geliebt,
nachdem ich bei seinem Besuche in Krainsdorf innere Fühlung mit
ihm gewann.
Nachdem Harald heimgegangen ist, komme ich noch einmal auf das Bild
unserer Großmutter Emilie Milde zurück. Ich tue dies nach ernster
Selbstprüfung, daß ich nicht an irdischem Besitz hänge, was unfromm
und in meinem Alter zugleich unsinnig wäre. Vielmehr glaube ich als
ältester Enkel unserer Großmutter eine Pflicht der Pietät zu erfüllen[.]
Du weißt, daß im Krainsdorfer Wohnzimmer die Bilder von Milde Vater
und Sohn hängen, umgeben von den Möbeln die beide benutzten. Als
Mittelstück zwischen diese Bilder wurde von demselben Wiener Maler
das Bildnis unserer Großmutter gemalt, und diese künstlerische Ein¬
heit, welche lange Jahre bestand, erst zur Zeit unserer Eltern zer¬
rissen, als man das im weiblichen Bildnis besonders betonte Bieder¬
meier als abscheulich empfand und in die Bodenkammer verbannte, so
wie es mit den Kunsterzeugnissen jenes späteren Zeitalters heute
geschiet.
Die künstlerische Einheit hatte zugleich symbolische Bedeutung.
Die Ehe unserer Urgroßeltern Milde war keine glückliche, vielleicht
weil der leichtlebige Mann der Gattin Anlaß zu Eifersucht bot. In
diesem Zerwürfnis stand der Sohn, das einzige Kind, durchaus auf
Seiten der geliebten frommen, aber durch harte Arbeit früh altern¬
G. von Schulze-Gävernitz
15.8.41
Liebe Mariele,
Ich benutze noch einmal die Schreibmaschine wegen meiner Augen.
Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der erschütternden Nachricht
daß Harald gefallen ist. Ich habe Harald geschätzt und geliebt,
nachdem ich bei seinem Besuche in Krainsdorf innere Fühlung mit
ihm gewann.
Nachdem Harald heimgegangen ist, komme ich noch einmal auf das Bild
unserer Großmutter Emilie Milde zurück. Ich tue dies nach ernster
Selbstprüfung, daß ich nicht an irdischem Besitz hänge, was unfromm
und in meinem Alter zugleich unsinnig wäre. Vielmehr glaube ich als
ältester Enkel unserer Großmutter eine Pflicht der Pietät zu erfüllen[.]
Du weißt, daß im Krainsdorfer Wohnzimmer die Bilder von Milde Vater
und Sohn hängen, umgeben von den Möbeln die beide benutzten. Als
Mittelstück zwischen diese Bilder wurde von demselben Wiener Maler
das Bildnis unserer Großmutter gemalt, und diese künstlerische Ein¬
heit, welche lange Jahre bestand, erst zur Zeit unserer Eltern zer¬
rissen, als man das im weiblichen Bildnis besonders betonte Bieder¬
meier als abscheulich empfand und in die Bodenkammer verbannte, so
wie es mit den Kunsterzeugnissen jenes späteren Zeitalters heute
geschiet.
Die künstlerische Einheit hatte zugleich symbolische Bedeutung.
Die Ehe unserer Urgroßeltern Milde war keine glückliche, vielleicht
weil der leichtlebige Mann der Gattin Anlaß zu Eifersucht bot. In
diesem Zerwürfnis stand der Sohn, das einzige Kind, durchaus auf
Seiten der geliebten frommen, aber durch harte Arbeit früh altern¬