538
Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I.
die Stelle der Hoffnung, durch möglichste Mäßigung der liberalenForderungen von dem Könige selbst die notwendigen Reformen zuempfangen, trat jetzt der Gedanke, daß nur eine ganz rücksichtsloseEnergie helfen könne, daß es gelte, die Reaktion, die den Königbeherrsche, dnrch schroffe Anwendung der verfassungsmäßigen Rechteder Volksvertretung, besonders des Budgetrechts, zu brechen. Nichtdie Altliberalen hatten die Führung, sondern die Linke von 1848,Waldeck und seine Freunde, und die in ihrem Geiste erwachsenejüngere Generation, deren hervorragendster Mann der Freiherrv. Hoverbeck war, ein Rittergutsbesitzer aus Ostpreußen .
Diese Verhältnisse wurden noch schlimmer dnrch das schroffeAuftreten Roons bei den Verhandlungen über eine Reform derMilitärgerichtsbarkeit. Er verbreiterte dadurch die bei dem Preußi-schen Grundsätze der allgemeinen Wehrpflicht ganz ungehörige undwidersinnige Kluft zwischen Heer und Bürgertum. Nichts war ge-eigneter, um auch unter den allergemäßigtsten Anhängern der liberalenPartei, unter den Männern, die sich 1858—1861 mit dem Regentennnd seinen Ministern in allen Hauptpunkten eins gewußt hatteu,die Vorstellung zn erwecken, es sei doch richtig, was die Linke sage:die Hartnäckigkeit, mit der Roon das dritte Dienstjahr fordere,habe weniger technische als politische Gründe, es gelte hier, denMann in den militärischen Geist im politischen Sinne hineinzuge-wöhnen und hineinzutreiben.
Die Auflösung des Abgeordnetenhauses am 11. März 1862erfolgte wegen des Antrags Hagen, der eine größere Specialisie-rung des Staatshaushalts forderte. Die Regierung hat wenigeMonate später die Forderung erfüllt, und Roon hat den Antragschon am 19. Mai 1862 bei Eröffnung des Landtages ausdrücklichals ausführbar bezeichnet. Indem sie das Hans wegen dieses An-trags auflöste, schien die Regierung selbst den Beweis zu liefern,daß sie eine Krisis herbeizuführen suche. Das war denn auch eineweitverbreitete Meinung, und mehr als alles andere erfüllte sie dieGemäßigten mit Trauer uud Sorge, die Linke aber mit Trotz undmit der Ahnung des Sieges. Lebhaft spricht diese Sorge aus einerDenkschrift, die Harkort in den Tagen vor der Entscheidung s9. März)durch Duuckers Vermittlung dem Kronprinzen überreichen ließ nnd