516 Achtes Kapitel.
daß er mit übergroßer Beschäftigung beladen „mit der Uhr in derHand" gearbeitet habe.
Die gewaltige moralische Entrüstung über eine beinah umhundert Jahre zurückliegende Vergangenheit war der Ausdruckganz kühler, ehrlicher, tiefer Überzeugung. Die Stärke des Koloritshängt zum Teil damit zusammen, daß Kapp in der mündlichenUnterhaltung und daher auch im vertraulichen Briefstil einerHumorvolleu, burschikosen Ausdrucksweise huldigte, die ihm vor-züglich zu Gesichte staud, wie er auch von originellem Witz sprudelte.So schloß sein ganzes Wesen alles Satanische aus.
Als er Mitglied des Deutscheu Reichstags wurde, 1872, schloßer sich der natioualliberalen Partei an und wurde, seine volleUnabhängigkeit bewahrend, auch von Bismarck geschätzt, der jabei einem Wahlkampf zwischen einem Konservativen und ihm umseine Meinung befragt, den Wählern zurücktelegraphierte: „WähltKapp!" Mit dem Wendepunkt der Bismarckschen inneren Politikim Jahr 1878/7Z stellte Kapp sich entschlossen mit in die Oppo-sition gegen ihn.
Wer sein Buch zur Hand nimmt, wird begreifen, wie in fort-schreitender Arbeit der Zorn immer mächtiger in ihm aufloderte.Aber es gehört zur Psychologie der deutscheu politischen Ent-wicklung, daß die Zeitgenossen jener Schamlosigkeiten so wenigvon diesem Zorn ergriffen worden waren (man lese nur des bravenSeume Selbstbiographie!) und nicht minder, daß auch die Nach-kommen in unseren Tagen, als sie durch Kapps Mitteilungen injene Skandalös« eingeweiht wurden, seinen Erwartungen über denEindruck, den das Buch macheu würde, nur sehr unvollkommenentsprachen. Es wnrde bekanut, es wurde viel gelesen, besprochen(ich selbst besprach es ausführlich und nachdrücklich in einemArtikel der „Deutschen Jahrbücher" unter der Überschrift: „EinVademeenm für deutsche Unterthauen)*), aber man konnte nichtmerken, daß es wuchtig einschlüge. Vielleicht erregt auch heutenoch Anstoß, daß Kapp die Seelenverkäufer des vorigeu Jahr-hunderts so erbarmungslos mit ihren Nachfolgern im Jahre1864 zusammenwarf.
*) Band I meiner gesammelten Schriften (Rosenbaum ck Hart) S. 192.,