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Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I.
Der Wechsel im Kultusministerium mußte hauptsächlich auf-fallen. Der neue Minister Mühler war ein Mann von Geist,aber er folgte den Spuren Ranmers. Seine Berufung mußte alsBeweis aufgefaßt werden, daß nun Schule und Kirche wieder imSinne der Orthodoxie geleitet werden sollten, von der der König1858 gesagt hatte, daß sie „mit den Grundanschauuugen der evan-gelischen Kirche nicht verträglich" sei und „sofort in ihrem GefolgeHeuchler" habe. Als der König 1858 so urteilte, stand er schonlängst in den Jahren, in denen ein rascher Wandel in diesenpersönlichen Anschauuugeu am wenigsten zu erwarten ist. Darumließ sich die Entlassung des liberalen, aber überaus zurückhaltendenMinisters Bethmann-Hollweg und die Berufung eines Genossender kirchlich-reaktionären Partei nur begreifen unter der Annahmeeiner völligen Hingabe an eine allgemeine nnd übermächtige reaktio-näre Strömung oder als Beweis haltloser Schwäche. Was manferner vou dem Einflüsse hoher Damen und ihrer frömmelndenRichtung hörte, von der Gemahlin des Ministers Mühler und vonder Umgebung der Königin, namentlich von ihren katholisierendenTendenzen, steigerte diese düstere Auffassung. Immer weiter fraßder Verdacht, es sei alles nur Schein und Phrase gewesen, womitder König 1858—61 das Vertrauen des Volkes gewonnen habe, und,nan werde auch alle weitereu Versicheruugen, mit denen er dieReorganisation begründete, so betrachten müssen. Man suchte nachanderen Motiven und man fand sie in juukerlichen und absolu-tistischen Tendenzen. Wohl versicherte der König in einem Erlaßvom 19. März 1862, der das Land über die Entlassung derliberalen Minister beruhigen sollte, mit feierlichem Ernst:
Ich halte unabänderlich fest an den Grundsätzen, welche ich am8. November 1858 dem StaatSministerium eröffnet und seitdem wieder-holt vor dem Lande kundgegeben habe, sie fjene Grundsätze^ werden,richtig aufgefaßt, auch serner die Richtschnur Meiner Negierung bleiben.Aber die daran geknüpften irrtümlichen Auslegungen haben Verwickelungenerzeugt, deren glückliche Lösung die nächste Aufgabe der gegenwärtige» Re-gierung ist.
Aber die Wahl der reaktionären Minister schien doch zu beweisen,daß er mit seinen Worten eine Ausfassung verbinde, die sich