damit zu reizen und zu vertiefen, sondern um das heilendeWerk des Arztes zu vollbringen. Helfferich hat seit Jahrenin banger Sorge erkannt, daß unser Volk in die Irre ging, daßder Weg, auf dem es vorwärtstaumelte, in den Abgrundführen mußte. Er wollte der mahnende, getreue Eckard diesesVolkes sein und mußte immer wieder erleben, daß er verkanntwurde, daß man seine Stimme nicht hören wollte. DiesSchicksal der leidahnenden Liebe hat ihn hart gemacht. Ichkann es verstehen, daß der Vorhang, den er selbst vor seineigentliches Ich in diesen schweren Jahren gezogen hat, denMenschen Helfferich dem Blick der anderen verbarg. Sie allekannten nur den Politiker, sie kannten nicht die tiefsten, reinenMotive all seines Handelns. Sie sahen nur den unermüdlichenKämpfer, der ihnen innerlich fremd war, weil sie nicht hinterder Maske des Kämpfers den Menschen erblicken konnten.Nur einmal riß dieser Vorhang auseinander, das war in jenermir unvergeßlichen Stunde am 2z. Juni 1922, am Vorabendder Ermordung Rathenaus, im Reichstage. Man hatte gewagt,seine persönliche Ehre anzugreifen, man hatte gewagt, diereinen Motive seines Handelns in Frage zu stellen, man hattegewagt, ihm Haltlosigkeit vorzuwerfen und Kleben am Amtauf Kosten seiner inneren Überzeugung. Da trat er in späterAbendstunde vor diesen Reichstag, der ihn umheulte undumtoste, diesen Reichstag, der vorgab, die Vertretung des Volkeszu sein, dem Helfferichs Leben und Denken von Anbeginn bisin die Todesstunde gehörte. Da zeigte er ihnen die furchtbarenSeelenqualen, die er an den Wendepunkten des großen Kriegesdurchgemacht, als er — der allzu klar Sehende — erkennenzu müssen meinte, daß seines Volkes Schicksal sich dem Nieder-gang zuneigte. Er gedachte jener Stunde, als man von ihmdas letzte und höchste Opfer, das ein Mann bringen kann, dasOpfer der inneren Überzeugung verlangte, und als er diesesletzte seinem Volke hingab. Nun mußte er sehen, daß er ebenum dieses Opfers willen auch noch verdammt werden sollte.
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