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Wenn man den agrarischen Forderungen nachgiebt, die darauf hinauskommen, daß der Staat den Grundbesitzern eine bestimmte Rente garantiert.Wenn der Staat das Recht auf Reute durch seine Handelspolitik aner-kennt, wenn er einem bestimmten Stand einen Anspruch auf lohnendesEinkommen aus einem bloßen Besitztitel zugesteht, wie kann er dafernerhin der socialistischen Forderung des Rechtes auf Arbeit undauf einen hinreichenden Arbeitslohn Widerstand leisten? Die Zuwendungvon Sondervorteilen an einen bestimmten Stand ist zwar für eineRegierung ein bequemes Mittel, sich die Unterstützung einer Parteifür die Erhaltung der bestehenden Ordnung zu gewinnen; und den Klassen,die vom Staat erhalten werden, kostet es keine Überwindung, staats-erhaltend zu sein. Aber diese billige Staats- und Königstreue, diemanche für unentbehrlich zum Schutz der bestehenden Einrichtungenhalten, ist nicht frei von einem sehr unangenehmen Beigeschmack, zu-mal wenn mau sich erinnert, wie oft von jener Seite für den Fall,daß die verlangten Zuwendungen ausbleiben, mit dem Übergang zuden Umsturzparteien gedroht worden ist. Der Satz, daß die Gerechtigkeitdas Fundament der Königreiche ist, gilt auch heute noch, und des-halb läßt sich auf die Dauer die Erhaltung der staatlichen und ge-sellschaftlichen Ordnung nicht durch die Bevorzugung einzelner Klassenerkaufen. Solche Bevorzugungen bedeuten vielmehr den Verzicht aufeine Ausgleichung der socialen Gegensätze, einen Verzicht auf densocialen Frieden, und man darf sich nicht Wundern, wenn dadurchdie Erbitterung wächst und die Umsturzbestrcbungcn sich ausbreitenund verschärfen. Die Begünstigung der Grundbesitzer auf Kosten derübrigen Bevölkerung, namentlich der Arbeiterschaft, ist mithin einzweischneidiges Mittel zur Erhaltung des Staates. Der Staat, dersich aus Furcht vor einem großen Teil seiner eignen Angehörigeneiner Minderheit in die Arme wirft und sich dadurch selbst zumKlassenstaat degradiert, beschwört sein eigenes Verhängnis herauf.
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In wirtschaftlicher Beziehung ist der Grundgedanke derGegner einer liberalen Handelspolitik ungefähr folgender: Der Um-stand, daß infolge des zunehmenden Übergewichts von Industrie undHandel über die Landwirtschaft ein immer größerer Teil der zumUnterhalt der deutschen Bevölkerung notwendigen Lebensmittel vomAusland bezogen werden müsse, führe zu einer fortgesetzt steigenden