Zehnter Vortrag.Das Problem des Industriestaates.
Die Frage der Neugestaltung unsrer handelspolitischen Be-ziehungen ist von einer so allgemeinen Tragweite, daß es nicht an-gängig ist, sie lediglich vom Gesichtspunkt der Sondcrinteressen dereinzelnen Klassen und Berufe zu beurteilen. In einer Frage, in derdie ganze wirtschaftliche und schließlich auch politische Zukunft unsresVaterlandes auf dem Spiele steht, dürfen die Sonderinteressen auchdes mächtigsten Standes und der zahlreichsten Klasse nicht entscheidendsein, auch dann nicht, wenn das heiße Bemühen obwaltet, eine soge-nannte „Mittellinie" zu finden, auf der sich die auseinandergehendenEinzelinteressen vereinigen lassen und die gewissermaßen das arith-metische Mittel aus den Sonderinteressen innerhalb der Volkswirt-schaft darstellen soll. Dem Suchen nach einer solchen Mittellinie undder ganzen diesem Bestreben dienenden „Politik der Sammlung"liegt offenbar eine zu mechanische Auffassung der lebendigen Volks-wirtschaft zu Grunde. Es giebt Interessen, die sich beim besten Willennicht vereinigen lassen und bei denen jeder Kompromiß nach der einenoder anderen Seite hin zu einer falschen Halbheit werden muß.Daran muß auch praktisch das Bestreben scheitern, das die Einzel-interessen in den Vordergrund stellt und aus ihnen durch eine amletzten Ende doch nur willkürliche Abwägung ein fiktives Gesamt-interesse konstruieren will.
Es kann natürlich niemandem einfallen, der Reichsregierung einenVorwurf daraus zu machen, daß sie das Möglichste gethan hat, umalle haudclspolitischen Wünsche und Forderungen zu Wort kommenzu lassen und daß sie die umfangreichsten Erhebungen veranstaltet hat,um sich Material zu beschaffen für die Prüfung der Lage der einzelnenErwerbszweige und ihrer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft.