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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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trägt, der Mut, mit dem die Agrarier die Interessen und Existenz-Grundlagen der Industrie und des Handels aufs Spiel setzen, dieserMut ist eine billige Tugend, vor der der Himmel diejenigen bewahrenmöge, denen er die Leitung der Geschicke eines großen Staates an-vertraut. Wer nicht ausschließlich an seinen eigenen unmittelbarenVorteil denkt, der kann nicht mit vornehmer Gleichgültigkeit über dieGefahr hinweggehen, mit der die agrarischen Forderungen unsre ex-portierende Industrie und die Millionen von Arbeitern bedrohen, diein ihr beschäftigt sind. Woher soll Ersatz kommen für die Industrien,die ihren Absatz, und für die Arbeiter, die ihr Brot verlieren? DieAgrarier haben leicht sagen: vom innern Markt, der durch die Zöllegestärkt wird. Wir haben gesehen, daß der innere Markt an Kauf-kraft durch Zollerhöhungcn für Getreide nichts gewinnen kann, daßdie Grundbesitzer nur soviel gewinnen können, als die andern ver-lieren, selbst wenn unser Export voll und ganz erhalten bliebe. Nunsehen wir, daß selbst im allergünstigsten Fall, beim denkbar weitestenEntgegenkommen der ausländischen Regierungen, unser Export Ein-buße erleiden müßte, für die der innere Markt keinen Ersatz zu bietenvermag, und daß im ungünstigsten Fall, im Falle eines offenen Zoll-krieges, für unsre Volkswirtschaft eine Katastrophe mit unabsehbarenDimensionen heraufbeschworen werden würde. An Stelle der in Aus-sicht gestellten Stärkung des inneren Marktes würde die Kauskraftder großen Masse der Bevölkerung in starkem Maße verringert werden;an Stelle der gesicherten Beschäftigung, welche den industriellen Ar-beitern von den Agrariern als wertvollere Gegengabe gegen die höhernGctreidepreife versprochen wird, würde der Druck der hohen Getreide-preise verstärkt werden durch Arbeitslosigkeit und Lohnreduktionen.Eine Herabsetzung der Lebenshaltung der großen Massen, eine Zu-nahme der Auswanderung, eine leidensvolle Zurückdämmung der Be-völkerungszunahmc, das ist die Perspektive, die uns die Erfüllung deragrarischen Forderungen eröffnet. Vielleicht möchten dann die Agra-rier am letzten Ende Recht behalten mit ihrer Behauptung, daß diedeutsche Landwirtschaft bei ausreichend hohen Preisen im stände sei,den deutschen Nahrungsbedarf ausschließlich zu versorgen; aber nichtweil dann die deutsche Landwirtschaft entsprechend mehr produziert,sondern weil die deutsche Bevölkerung weniger konsumiert, weil sie inihrer Zahl herabgedrückt und auf schmale Rationen gesetzt wird.