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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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aber werden dann unsre Konzessionen nicht geringer sein können alsdem Minimaltarif entspricht, denn jeder fremde Staat wird dasMaximum der Konzessionen verlangen, zu dem wir uns durch gesetz-liche Festlegung eines Minimaltarifs bereit erklären. Oder aber, unsreKonzessionen genügen dem fremden Staat nicht, dann kommt eben derHandelsvertrag nicht zu stand, wenn nicht die Gesetzgebung schließlichsich doch zu einer Durchbrechung des Minimaltarifs entschließt, wiees in Frankreich , das dieses geniale System zuerst adoptiert hat, that-sächlich der Fall war. Den fremden Regierungen wird es höchst gleich-gültig sein, ob wir uns vor den Verhandlungen uns selbst gegenüberdie Hände binden; ihre Aktions- und VerHandlungsfähigkeit wird durcheinen vom Deutschen Reichstag beschlossenen Doppeltarif nicht beein-trächtigt; beeinträchtigt wird vielmehr nur die Aktionsfähigkeit derdeutschen Regierung, die sich durch die Zustimmung zu einem Doppel-tarifgesetz im voraus die Möglichkeit verschließen würde, Konzessionen,die sie im Lauf der Verhandlung selbst als notwendig im allgemeinenInteresse erkennen würde und andere als notwendige Konzessionenwürde sie ja sicherlich nicht machen, solche Konzessionen nun auchwirklich zuzugestehen. Die Regierung würde sich durch die Annahme einesMinimaltarifs selbst die Hände binden und sich die Bethätigung einerspäteren besseren Erkenntnis des Notwendigen unmöglich machen.Das ist gewiß ein sonderbarer Weg, seine Position bei den Verhand-lungen zu verbessern, ein Mittel, das nur erklärlich ist bei Leuten, diesich selbst nicht ganz trauen, die sich vor sich selbst fürchten. DasVerfahren kommt mir so absonderlich vor, daß ich aus dem ganzenKreis der Geschichte und der Sagenwelt nur einen Fall weiß, deranalog ist. Das war Odysseus , als er sich von seinen Gefährten anden Mastbaum binden ließ, um bei den Sirenen vorüberzufahren, ohneder verführerischen Wirkung ihres Gesangs zum Opfer zu fallen; seineGefährten aber mußten sich die Ohren verstopfen.

Das war in diesem Fall ein sehr kluges und des vielgewandtenOdysseus würdiges Verfahren. Beim Doppeltarif liegt aber die Sachedoch etwas anders. Wenn wir sehen, wie ein großer Teil des deutschenVolkes und seiner Vertreter sich die Ohren verstopft gegenüber derSprache der Vernunft und des Gemeinwohls, so fehlt nur noch, daßsich die Regierung durch einen Minimaltarif an den Mastbaum bindenläßt, und wir werden an dem sicheren Hafen der Handelsverträge vor-beifahren, mit vollen Segeln hinaus in die Stürme des Zollkriegs.

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