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den Zollverein nur einen Waffenstillstand, keineswegs einen endgültigenFriedensschluß.
Österreich zeigte bald, daß es gewillt war. mit dem Paragraphendes Handelsvertrages, der für das Jahr 1860 Verhandlungen übereine völlige Zolleinigung in Aussicht nahm, Ernst zu machen, undbei diesen Bestrebungen konnte es nach wie vor auf die Unterstützungseitens der süddeutschen Staaten rechnen. Preußen dagegen war festentschlossen, Österreich auch im Jahre 1860 und späterhin vom Zoll-verein fern zu halten. Nichts konnte dabei der preußischen Regierungwillkommener sein, als die möglichste Zuspitzung der handelspolitischenGegensätze zwischen Österreich und dem Zollverein. Eine solche Zu-spitzung ergab sich in gewissem Umfange bereits ohne Zuthun derpreußischen Regierung als unmittelbare Folge des Handelsvertrags von1853. Aus beiden Seiten fand dieser Vertrag wenig Freunde undviele Gegner. Die deutschen Industriellen beklagten sich über die un-genügenden Zugeständnisse, die Österreich gemacht habe, und über dieschlechte österreichische Währung, die den Handel mit Österreich sehrerschwerte. Die österreichische Industrie dagegen beklagte sich bitterüber die deutsche Konkurrenz. Österreichs schutzzöllnerische Stimmungwar in jener Zeit im Wachsen, während umgekehrt iu Deutschland die Bestrebungen zur Erleichterung des auswärtigen Handels einengroßen Aufschwung nahmen. Das englische Vorbild übte hier einegroße Wirkung aus. Es lag klar vor aller Augen, welchen ungeahntenAufschwung der englische Handel nahm, seitdem er durch die Zoll-resormen der 40 er Jahre aller Protektionistischen Fesseln entledigtwar. Zwar lagen in Deutschland die wirtschaftlichen Verhältnissewesentlich anders als in England; während in England die hoch-entwickelte Industrie im Freihandel das Mittel erblickte, ihre Pro-duktionsbedinguugen durch Verbilligung der Nahrungsmittel und Roh-stoffe zu verbessern und sich durch Erleichterungen der Einfuhr infremden Staaten die Herrschaft über den industriellen Weltmarkt zuverschaffen, war in Deutschland die Industrie bei ihrer jüngeren Ent-wicklung zu einem sehr wesentlichen Teil schutzzöllnerisch interessiert,und nur die Landwirtschaft hatte ein praktisches Interesse am Frei-handel. Aber es waren in Deutschland zu jener Zeit überhaupt nichtin erster Reihe die praktischen Interessen, welche den handelspolitischenStrömungen ihre Richtung wiesen und ihnen ihre Stärke gaben; dasElement der Bewegung war vielmehr in erster Linie eine uninteressierte