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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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finanziellen Bedürfnisse nicht durch die Besorgnis stören lassen, daßdadurch den deutschen Produzenten ein Vorteil vor den ausländischenerwachse. Es sei vielmehr bei der Lage der Industrie eine Erhöhung derZollsätze durchaus erwünscht.

Die Abneigung gegen Schutzzölle, so führte er weiter aus, richtesich im wesentlichen gegen das Privilegium, welches den einzelnengeschützten Zweigen der Produktion angeblich auf Kosten der übrigenverliehen werde. Um nun nicht einzelnen Produktionszweigen einsolches Privilegium zu erteilen und dadurch die Eifersucht der übrigenzu erwecken, wolle er der gesamten inländischen Produktion einenVorteil vor der fremden gewähren. Ein solches System könne nachkeiner Seite hin drückend erscheinen, da es seine Wirkungen auf alleproduzierenden Stände gleichmäßig verteile. Nur eine Benachteiligungder lediglich konsumierenden Minderheit der Nation sei denkbar, aberdas dürfe nicht entscheidend ins Gewicht fallen; denn diese Benach-teiligung werde sich durch die Hebung des Gesamtwohlstandes vonselbst ausgleichen, ganz abgesehen davon, daß bei vielen Waren dasAusland den Zoll werde tragen müssen-

In diesem historischen Aktenstück proklamierte also Bismarckden Schutz der gesamten nationalen Produktion alsfein Ziel. Die Aufstellung eines diesem Ziele entsprechenden Tarif-entwurfs wurde einer Bundesratskommission von 15 Mitgliedernübertragen, zu deren Vorsitzenden Freiherr v. Varnbüler ernannt wurde.Die Kommission begann am 3. Januar 1879 ihre Beratungen undarbeitete mit Hochdruck. Gegenüber der Entrüstung und der heftigenOpposition der liberalen Wirtschastspolitiker, die sich dem Bruch mitder bisherigen Handelspolitik auf das äußerste widersetzten, entfesselteBismarck einen wahren Sturm der praktischen Interessen. Die ge-samte Regierungspresse wurde in den Dienst der protektionistischcnPropaganda gestellt, Versammlungen von Interessenten wurden or-ganisiert, Petitionen über Petitionen regneten, und jedermann, der einenSchutzzoll auf irgend etwas verlangte, war dem Reichskanzler will-kommen. Auf Adressen und Eingaben antwortete er in zahlreichenBriefen, in denen die Interessenten aufgefordert wurden, sich zu rühren.Das bekannteste Beispiel für diese Kanzlcrbriefe ist das Antwort-schreiben, das er am 16. April 1879 an den Freiherrn von Thüngen auf eine Beifallsadresse hin richtete.Der Inhalt Ihres Briefes,"schrieb er,wäre mir lieber in der Öffentlichkeit als in meinen Akten;