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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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handelspolitischen Verhältnisses mit allen Ländern der ganzen Kultur-welt, soweit sie mit uns überhaupt in irgend welchen Vertrags-beziehungen stehen. Da ferner auch die Länder, mit denen wir zuBeginn der 90 er Jahre Tarifverträge abgeschlossen haben, jedes fürsich der Mittelpunkt eines Netzes von Tarif- nnd Mcistbegünstigungs-verträgen ist, kann man sagen, daß das unter Caprivi geschaffeneSystem von Handelsverträgen die feste Grundlage bildet, auf der sichseither ein großer Teil des gesamten Weltverkehrs vollzieht.

In Anbetracht dieser Verhältnisse ist es zweifellos, daß Deutsch-land durch seine Haltung einen beträchtlichen Einfluß auf die künftigeEntwicklung der internationalen Handelspolitik ausüben wird. Sosehr auch die Wünsche und Forderungen der Vertragsstaaten bei derErneuerung oder Nichterneuerung der Handelsverträge in Betrachtkommen, darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die Erneuerung derVerträge in ganz besonderem Maße vom guten Willen Deutschlands abhängig ist. Auf der bisherigen Basis wäre Wohl ohue erheblicheSchwierigkeiten und mit ganz geringe« Modifikationen die Fortsetzungder Verträge zu erlaugen; ob auf wesentlich anderer Basis, ob vorallem mit einem stark erhöhten Zollschutz für landwirtschaftliche Pro-dukte, das steht mindestens dahin. Es liegen vielmehr ganz bestimmteAnhaltspunkte dafür vor, daß der wichtigste der Staaten, mit denenwir Tarifverträge abgeschlossen haben, daß Rußland nicht gewillt ist,eine starke Erhöhung der deutschen Einfuhrzölle auf seiuen erstenExportartikel, auf Getreide, ruhig hinzunehmen. In einem viel-besprochenen Artikel der offiziösenFinanz- und Handelszeitung" hatder russische Fiuanzminister sich mit unzweideutiger Klarheit überdiese Eventualität ausgelassen, und sein Schlußergebnis ist, daß jedeErhöhung der deutschen Getreidezölle für Rußland einen Handels-vertrag mit Deutschland wertlos und unannehmbar macht, ja daßRußland sich durch eine Erschwerung der Getreideeinfuhr von deutscher Seite genötigt sehen würde, Differenzialzölle gegen die deutschen Ein-fuhrwaren in Anwendung zu bringen. Damit ist nur ausgesprochen,was an und sür sich fast selbstverständlich ist; wir können unmöglicherwarten, daß Zollerhöhungen auf wichtige Exportwaren des Aus-lands, die von unsrer Seite verfügt werden, ohne die entsprechendeBeantwortung durch Zollerhöhungen seitens des Auslandes auf unsreExportwaren bleiben werden.

Wenn aber aus diese Weise die Verhandlungen über die Erneuerung