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vorstehenden Ablauf der Handelsverträge hat sich der Centralverbandmit einer Erhöhung der landwirtschaftlichen Zölle einverstanden erklärt,aber nur unter dem Vorbehalt, daß dadurch der Abschluß von neuenHandelsverträgen nicht unmöglich gemacht wird.
Im allgemeinen kann man sagen, daß die Wünsche nach Zoll-erhöhuugen, soweit sie industrielle Produkte betreffen, zu unwesentlichsind, um eine Erneuerung der Handelsverträge auf ihrer gegenwärtigenBasis zu verhindern oder auch nur zu erschweren, zumal da auch vonfeiten der schntzzöllnerischen Industriellen der größte Wert auf die Er-neuerung der Handelsverträge gelegt wird. Der größte Teil der In-dustrie und Wohl der gesamte Handel wünschen die Verlängerung desbestehenden Zustandes in seinen wesentlichen Zügen; sie stehen vorallem auf dem Standpunkt, daß eine neuerliche Erhöhung der land-wirtschaftlichen Zölle, namentlich der Getreidezölle, selbst dann unter-bleiben soll, wenn sie sich — was allerdings sehr unwahrscheinlichist — mit dem Abschluß neuer Handelsverträge vereinbaren ließe.
Ernsthaft bedroht ist die Fortsetzung der Handelsvertragspolitikeinzig und allein durch die Forderungen der ländlichen Grundbesitzer.Sie haben die Handelsverträge bereits bei ihrem Abschluß auf dasheftigste bekämpft. Weil diese Verträge den Getreidczoll, der erst imJahre l887 von 3 Mk. auf 5 Mk. erhöht worden war, wieder auf3,50 Mk. ermäßigt haben, ist das System der Handelsverträge als einSystem zur Vernichtung der deutschen Landwirtschaft bezeichnet worden.Sie haben die bittersten Beschwerden darüber erhoben, daß ihre Inter-essen denjenigen der exportierenden Industrie geopfert worden seien.Die Notlage der Landwirtschaft, deren Bestehen in gewissem Sinneanerkannt werden muß, die aber von den Agrariern maßlos über-trieben wird — ich werde darauf noch im einzelnen zurückkommen —,diese Notlage, die bald nach dem Abschluß der Handelsverträge durcheinen starken Preissturz des Getreides sich besonders fühlbar machte,wird von den Agrariern ausschließlich, oder doch vorwiegend, auf dieHandelsverträge zurückgeführt; und ihre seit vielen Jahren mit demgrößten Nachdruck betriebene Agitation bezweckt vor allem, eine wesent-lich stärkere Beschränkung der landwirtschaftlichen Konkurrenz desAuslandes herbeizuführen. Am meisten sympathisch für diesen Zwecksind den Agrariern die radikalsten Mittel, Grenzsperre oder Ver-staatlichung der Getreideeinfuhr im Wege des Antrags Kanitz. Aberals echte Realpolitiker sind die Agrarier bescheiden genug, sich vor-