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Bevölkerung wegen ihres größeren Konsums an den besteuerten undzollpflichtigen Artikeln, wegen des größeren Konsums von Zucker,Tabak, Kolonialwaren u. s. w., einen wesentlich stärkeren Teil aufbringt,als die bedürfnislosere und genügsamere landwirtschaftliche Bevölkerung.
In allen diesen Punkten, an Kopfzahl, an Produktivität und anStcuerleistung. steht mithin die Landwirtschaft beträchtlich hinter derIndustrie und dem Handel zurück. Aber die volkswirtschaftliche Be-deutung der Berufsinteressen ist nicht immer ausschlaggebend sür diepolitische Macht der Parteien, welche diese Sonderinteresseu vertreten.Als politischer Machtsaktor spielt das Agrariertum bei uns in Deutsch-land — darüber dürfte Wohl kein Zweifel obwalteu — die erste Rolle.Es übt durch seine geschlossene Organisation und durch sein ziel-bewußtes Vorgehen aus die maßgebenden politischen Parteien einengroßen Einfluß aus, der mitunter geradezu an Terrorismus grenzt;es genießt ferner den großen Vorteil einer gänzlich veralteten Einteilungder Wahlkreise, durch die das platte Land im Reichstag gegenüber denindustriellen Gebieten ganz außerordentlich bevorzugt ist; dazu kommtschließlich die traditionelle Stellung des adeligen Großgrundbesitzesund der konservativen Parteien zur Krone und zur Regierung und diemit dem größten Eifer und der größten Beflissenheit genährte Auf-fassung, daß gegenüber dem politischen Radikalismus Thron undAltar genötigt seien, sich auf die konservativen und agrarischen Parteienzu stützen.
Auf diesen Verhältnissen beruht die politische Machtstellung derVertreter der agrarischen Interessen. Der Streit um den zukünftigenKurs unsrer Handelspolitik ist nur eine einzelne Episode in demgroßen und hartnäckigen Kampf, in welchem der Grundbesitz diewirtschaftlichen Voraussetzungen sür seine beherrschende Stellung imStaat, die infolge des gewaltigen Aufschwungs der deutschen Industrieund des deutscheu Handels immer merkbarer dahinschwinden, durch dasvolle Aufgebot seines ererbten politischen Einflusses zu erhalten sucht.Aus diesem natürlichen Selbsterhaltungstrieb einer Klasse, die um dieErhaltung ihrer Machtstellung gegenüber den neu aufstrebenden Ele-menten kämpft, ist der Kampf der Agrarier gegen die Großbetriebe inIndustrie und Handel hervorgegangen, während der landwirtschaftlicheGroßbetrieb durch die Institution der Fideikomisse besonders geschütztwird; aus diesem Geist heraus erklärt sich der Kampf gegen dasmobile Kapital, während sür das in landwirtschaftlichen Betrieben