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Zollsätze für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse herbeizuführen. DieForderung nach einem umfassenden und stark erhöhten Zollschutz fürsämtliche Erzeugnisse der Landwirtschaft erscheint mithin durchausbegreiflich, und da sich die Agrarier niemals durch allzu zarte Rücksicht-nahme auf die Interessen andrer Berufe ausgezeichnet haben, darfman sich auch nicht Wundern, wenn sie sagen: „Erst erhöhte Zölle füruns — und dann für Euch vielleicht Handelsverträge; jedenfalls abernur dauu Handelsverträge, wenn dadurch die Erhöhung der landwirt-schaftlichen Zölle nicht berührt wird. —
Die Agrarier versprechen sich also von den landwirtschaftlichenZöllen eine Beseitigung der Notlage der Landwirtschaft, weil sie vonihnen eine Steigerung des Reinertrags ihrer Güter erwarten. Wirhaben nun dieses Heilmittel auf seine Wirksamkeit zu prüfen, wirhaben zu untersuchen, ob es in der That der Landwirtschaft als solcherdie erwarteten Vorteile bringen und welche Wirkung es für die übrigeBevölkerung haben würde.
Von allen Zollerhöhungen, welche die Agrarier verlangen, stehenobenan die Getreidezölle. Auf diese kommt es den Agrariern ammeisten an. und andrerseits wird gerade die Erhöhung der Getreide-zölle, da sie das wichtigste Nahrungsmittel betrifft, am lebhaftestenbekämpft. Wir beschäftigen uns zunächst mit dieser speciellen Frage.
Eine Erhöhung der Getreidezöllc kann für die deutsche Landwirt-schaft überhaupt nur dann eine Bedeutung haben, wenn der Inlands-preis von Getreide durch sie eine entsprechende Erhöhung erfährt,wenn also das Inland und nicht das Ausland den Zoll trägt. Vonagrarischer Seite wird freilich stets wieder die Bemerkung in die De-batte geworfen, das Ausland trage den Zoll mindestens zeitweise,nämlich bei guten Ernten. So hat neulich Fürst HerbertBismarckim Reichstage ausgeführt: das fei der Hauptvorteil, den wir von denZöllen haben, daß bei guten Ernten ein großer Teil der Zölle vondem Auslande getragen werde; Mißernten bildeten nicht die Regel,die Regel bilde vielmehr, daß ein großer Teil der Zölle vom Aus-lande getragen werde. Ich weiß nicht, wie man so etwas zu Gunstender Getreidezölle ins Feld führen kann und wie man diese angeblicheWirkung der Getreidezölle geradezu als ihren Hauptvorteil bezeichnenkann. Wenn Fürst Bismarck Recht hat, wenn bei guten Erntenein großer Teil des Zolls vom Auslande getragen wird, so werdendie Zölle gerade im Falle niedriger Preise, wie sie eine gute Ernte