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denen man eine Trübung des Blickes durch ihre eignen Interessen,eine mangelhafte Unterscheidung zwischen dem eignen Wohl und demder Gesamtheit annehmen könnte, sondern daß auch Leute, die in wirt-schaftlichen Fragen über den Interessen stehen, daß vor allem auchMänner der Wissenschaft die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftzum „Industriestaat" so bedenklich finden, daß ihr durch eine Änderungunsres handelspolitischen Kurses unbedingt ein Riegel vorgeschobenwerden müsse?
Die Gegner der Handelsverträge und der industriestaatlichen Ent-wicklung geben teilweise die große Hebung der materiellen Wohlfahrtzu, die mit dem Überwiegen der Industrie eingetreten ist. Aber siebehaupten, diese vorübergehende Verbesserung unsrer wirtschaftlichenVerhältnifse sei erkauft durch schwere Schädigungen der Grundlagenunsres Staates und unsrer Volkswirtschaft; sie sei erkauft vor allemdurch eine Preisgabe der Landwirtschaft, die doch das natürlicheFundament eines jeden gesunden Staates sei; mindestens durch einePreisgabe des innern Gleichgewichts von Landwirtschaft und Industrie,das allein eine gesunde Entwicklung verbürgen könne; ferner um denPreis unsrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Ausland. Und damitnicht genug, es wird auch behauptet, die ganze industriestaatliche Ent-wicklung müsse aus ihrem eignen Wesen heraus zu einem Zusammen-bruch sühren; und wenn nicht eine Umkehr auf dem bisherigen WegePlatz greife, dann würden zuletzt die Trümmer des IndustriestaatsDeutschlands Glanz und Herrlichkeit begraben. Ein immer größererTeil der Bevölkerung finde seine Existenzbedingung in den Industrien,die auf der Möglichkeit des Absatzes nach dem Ausland beruhten.Das Gebäude der deutschen Volkswirtschaft ruhe somit auf Pfeilern,die auf fremdem Boden stehen. Das Ausland habe ein Interesse daran,diese Pfeiler zu beseitigen. Es werde sich von unsrem industriellenExport emancipieren und dann müsse der große Einsturz erfolgend
Das sind Gedanken, die ernsthafte Erwägung verdienen. Dennwenn in der That durch die Eingliederung der deutschen Volkswirt-
' Vergl. vor allem Oldenbcrg, Deutschland als Industriestaat, Göttingen 1897; A. Wagner, Grundlagen der Volkswirtschaft, 3. Aufl., Leipzig 1893, 2. Halb-band, S. 448 ff. Ferner A. Wagner, Die Frage vom Industriestaat und weltwirt-schaftlicher Entwicklung, im Hamburger „Lotsen " vom 17. und 24. November 1900. —Den entgegengesetzten Standpunkt nimmt ein Dietzel, Weltwirtschaft und Voltswirt-schaft, Dresden 1900,