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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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jede Erleichterung des Außenhandels den Stab bricht, die ihr Idealin der nationalwirtschaftlichen Isolierung, in der Selbstgenügsamkeiteines geschlossenen Handelsstaates erblickt, scheint auf den ersten Blickin diametralem Gegensatz zu stehen zu den thatsächlichen Beobachtungen,die wir während der Ära der Handelsverträge, ja während der ganzenDauer unsrer Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat gemachthaben. Je mehr die Entfaltung unsres auswärtigen Handels uns dieMöglichkeit gab, unsre Industrie und unsre Schiffahrt zu entwickelnund damit diejenigen Zweige der nationalen Arbeit besonders auszu-bilden, für welche bei uns die Bedingungen am günstigsten sind, destogrößer ist der Zuwachs geworden, den die wirtschaftliche Wohlfahrtunsres Gesamtvaterlandes erfahren hat. Während der in der Industriebeschäftigte Teil der Reichsbevölkerung, der um die Mitte der 80 erJahre noch beträchtlich hinter dem in der Landwirtschaft beschäftigtenzurückstand, ein entschiedenes Übergewicht erlangt hat im Jahre 1895.an der Schwelle des letzten großen industriellen Ausschwungs, entfielenauf die industrielle Bevölkerung bereits 39,1 °'v, auf die landwirt-schaftliche nur noch 35,7 °/o der Gesamtbevölkerung, während dieserZeit ist eine so gewaltige Mehrung unsres Volksreichtums eingetreten,eine solche Hebung der Lebenshaltung auch in den untersten undbreitesten Schichten, daß selbst Blinde und Fanatiker daran nicht acht-los vorübergehen können. Die Belege dafür im einzelnen habe ichIhnen ausführlich mitgeteilt in einem meiner ersten Vorträge, als ichIhnen die Bedeutung des Außenhandels für unsre Volkswirtschaftdarzustellen versuchte. Damals habe ich Ihnen auch gezeigt, daß hiernicht ein bloß zufälliges Zusammentreffen vorliegt, sondern daß dieEntwicklung zum Industriestaat, daß die Erweiterung und Blüte derThätigkeit in Handel und Gewerbe eine der wichtigsten Ursachen uusreszunehmenden Volkswohlstandes gewesen ist.

Wie verträgt sich nun mit diesen Wahrnehmungen, deren Augen-fälligkeit sich auch der flüchtigste Beobachter nicht entziehen kann, dieAnsicht von der Gemeingesährlichkeit der Entwicklung zum Industrie-staat? Wie verträgt sich mit den offenkundigen Wahrnehmungen, diemit aller Klarheit und Deutlichkeit für eine weitere Erleichterung undBegünstigung des auswärtigen Handelsverkehrs zu sprechen scheinen,die Ansicht, daß die Wohlfahrt uusres Vaterlandes gebieterisch eineUmkehr zur nationalwirtschaftlichen Isolierung verlange ? Wie kommtes, daß nicht nur Leute, wie die politischen Führer der Agrarier, bei