Druckschrift 
Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
Entstehung
Seite
190
Einzelbild herunterladen
 
  

190 -

Man mag in jeder andern Weise dafür sorgen, den Grundbesitzerndie Schwierigkeit ihrer Lage möglichst zu erleichtern, aber die Geschichtewird dereinst jeden Staatsmann verurteilen, dessen Politik die Inter-essen des Teils über das Wohl der Gesamtheit stellt.

Wichtiger als alle Untersuchungen der von der Handelspolitikberührten Einzelinteressen ist deshalb die prinzipielle Frage, ob dieFortsetzung der Politik der Handelsverträge im Gesamtinteresse Deutsch-lands geboten erscheint oder ob die Rücksicht auf das Wohl und aufdas Gedeihen unsres Vaterlandes eine Änderung des Kurses unsrerHandelspolitik nötig macht. Auch die ausgesprochenen Vertreterbestimmter Klassen- und Berufsinteressen haben das Gefühl, daß dieserGesichtspunkt schwerer wiegt als alles, was über die Schädigung be-stimmter Erwerbsinteressen vorgebracht werden kann, und von Zeit zuZeit nehmen sie einen Anlauf, um den Streit um die Erneuerung derHandelsverträge über das Niveau eiues jeden idealen Zuges entbehren-den Jnterefsenkampfes hinaus zu heben. Wenn den Interessen derGrundbesitzer die ebenso berechtigten Interessen der übrigen Bevölkerungs-kreise gegenübergestellt werden, dann wird seitens der Agrarier häufigdieser Einwand damit abgeschnitten, daß sie behaupten, es handle sichbei ihren Forderungen nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorwiegendum das Schicksal der Landwirtschaft, sondern in ganz besonderemMaß um die Erhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung und derpolitischen Machtstellung Deutschlands . Es könne auf dem Weg derEntwicklung zumIndustriestaat" nicht so weiter gehen wie bis-her, ohne daß die Grundlagen unsrer nationalen Existenz in Fragegestellt werden, und deshalb komme es bei der Neuordnung unsrerhandelspolitischen Beziehungen zum Ausland vor allem darauf an,daß dieser verhängnisvollen Entwicklung Einhalt geboten werde.

Solche Ansichten werden nicht nur von agrarischen Wortführernund agrarischen Blättern verbreitet, sondern zu dieser Ausfassung vonder Bedenklichkeit unsrer industriestaatlichen Entwicklung bekennen sichauch einzelne Männer der Wissenschaft ^, die praktisch an den handels-politischen Streitfragen gänzlich uninteressiert sind und deren Patrio-tismus und ehrliche Überzeugung von niemand in Zweifel gezogenwerden kann.

Die geschilderte Auffassung, die über die Handelsverträge, ja über

i So vor allem Adolph Wagncr und Oldenverg.