- 199 —
die Länder, mit denen wir Fabrikate gegen Nahrungsmittel und Roh-stoffe austauschen, überwiegend agrarische Interessen am Export haben,besteht in diesen Interessen eine mäßigende Gegenwirkung gegen dieindustrielle Absperrungspolitik. Für ein langsames Tempo sorgt abervor allem auch der Umstand, daß die zur Entwicklung einer weitver-zweigten, allen Bedürfnissen genügenden Industrie notwendige Be-völkerung, das erforderliche Kapital, die erforderliche Schulung derArbeiter, — daß das alles nicht aus dem Boden zu stampfen ist,sondern daß diese Voraussetzungen nur in langsamer Entwicklung ge-schaffen werden können. Ich brauche Sie in dieser Beziehung nur aufRußland zu verweisen. Sie haben dort ein autokratisches Regiment,das die Opposition der Landwirtschaft gegen eine übertriebene Be-günstigung der Industrie einfach ignorieren kann und ignoriert hat.Sie haben dort einen zielbewußten und energischeu Minister, der sichdie Erziehung einer leistungsfähigen Industrie zur Lebensaufgabe ge-macht hat. Sie haben dort nicht nur hohe Zölle auf Industrie-Produkte, sondern auch umfangreiche direkte Staatssubventionen fürindustrielle Betriebe. Und alle diese Anstrengungen, dieses ganze Auf-gebot von Mitteln hat nicht viel mehr erreicht, als daß Rußland nach einem kurzen treibhausartigen Aufblühen der industriellen Thätig-keit in eine überaus schwere ökonomische Krisis verfallen ist, die estrotz aller Staatshilfe für die notleidenden Betriebe um viele Jahrein seiner Entwicklung zurückwirft. Dieses Beispiel ist geeignet, den-jenigen, welche den Staat für allmächtig halten, wieder einmal dieWahrheit vor Augen zu führen, daß die internationale Arbeitsteilung,soweit sie nicht überhaupt durch unwandelbare Naturthatsachen bedingtist, auf Verhältnissen beruht, die auch die stärkste Regierung nicht imHandumdrehen nach ihrem Belieben verändern kann.
Man mag einwenden: wenn es auch langsam geht, einmalmuß der Augenblick, in dem sich unsre Absatzländer von uns eman-cipieren, doch kommen; und da im Völkerleben die Menschenalter nurals Augenblicke zählen, kann es hier auf etwas früher oder später nichtankommen.
Aber auch hier brauchcu wir unsre Blicke nur auf die bisherigeEntwicklung zu richten, auf das Emporkommen der Industrie in denLändern des europäischen Kontinents. Als Deutschland nach derBegründung des Zollvereins in den 30er und 40er Jahren des l9. Jahr-hunderts anfing, größere Fortschritte in der Ausbildung einer eignen