Druckschrift 
Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
Entstehung
Seite
27
Einzelbild herunterladen
 

27

gegenwärtigen, welche gewaltigen Verschiebungen in den Produktions-bedingungen der einzelnen Länder dadurch hervorgerufen werden mußten,daß immense Gebiete, die zwar geographisch längst entdeckt, in ihremInnern aber kaum durchforscht waren, die an der Küste, an schiff-baren Strömen und wenige Meilen landeinwärts relativ dicht be-siedelt, im Innern aber überhaupt nicht oder nur dünn bevölkert undwirtschaftlich noch nicht nutzbar gemacht waren, daß Gebiete solcherArt - im zehn- und zwanzigfachen Umfang der alten europäischenKulturländer, die bisher für die alten Volkswirtschaften überhauptnicht existiert hatten, nun auf einmal binnen weniger Jahrzehntedurch Dampfschiffe und Eisenbahnen in die Kreise des Weltverkehrs ein-bezogen wurden. Die alten Länder mit ihrer intensiven Ausnutzungder natürlichen Produktionsfaktoren, wurden in einem Zeitraum, derfür die Weltgeschichte nur die Bedeutung eines Augenblickes hat, mitden neuen Gebieten zu einer einheitlichen Welt verschmolzen.

Wenn das Kapital und die Menschen sich ohne große Reibungs-widerstände nach den natürlichen Produktionsbedingungcn verteilenwürden, dann hätte ein vehementer Ausgleich zwischen der alten undder neuen Welt sich vollziehen müssen, wie wenn der letzte Dammdurchstochen wird, der einen neuen Kanal noch von dem alten Wasser-lauf trennt. Aber das Kapital sowohl, wie auch die Menschen sindeine schwerflüssige Masse, sie werden durch unzählige Widerstände ander heimischen Scholle festgehalten, und so kommt es, daß sich derAusgleich nur langsam vollziehen konnte. Solange der Ausgleich nichtganz vollzogen ist, solange die Bevölkerung und das Kapital über diedurch die Ausdehnung der Eisenbahnen für die wirtschaftliche Weltgewonnenen Gebiete sich nicht in einer den natürlichen Produktions-bedingungen entsprechenden Weise verteilt haben, solange bestehteine gewisse Differenz der Gewinne und Löhne zum Vorteil der neuenGebiete, in welchen die Gunst der Natur noch am wenigsten ausgenutztist. Um das wichtigste Beispiel hier gleich vorgreifend zu erwähnen:Während in den alten Kulturländern die Zunahme der Bevölkerungschon seit Jahrhunderten dazu gcuötigt hatte, auch minder fruchtbaresLand unter Kultur zu nehmen und für die Beschaffung von Nahrungs-mitteln mit relativ höheren Kosten zu verwenden, wurden nunmehrin den neuen Ländern unbegrenzte Flächen des fruchtbarsten jung-fräulichen Bodens verfügbar, der mit weit geringeren Kosten undMühen Getreide, Fleisch u. s. w. lieferte, als es im alten Europa