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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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erzeugt werden konnte. Der Landwirt in den neuen Ländern konntemithin, namentlich da er den Boden umsonst oder nahezu umsonsterhielt, eine weit höhere Rente beziehen und seinen Arbeitern weithöhere Löhne zahlen als seine Konkurrenten im alten Europa . DieseDifferenz der Gewinne und Löhne muß natürlich, solange sie besteht,auf eine Fortsetzung des Ausgleichs in der Kapital- und Bevölkerungs-verteilung hinwirken. Und in der That beobachten wir nicht nurlang anhaltende Wanderbewegungen nach den neuen im Verhältniszu ihren Prodnktionsbedingungen dünn besiedelten Gebieten, alleLänder des alten Europa haben gewaltige Scharen von Auswanderernan die neuen Länder abgegeben, die im wesentlichen durch die Aus-sicht auf höhere Gewinne und Löhne zum Verlassen ihrer altenHeimat bestimmt wurden; wir beobachten außerdem in den nenenGebieten, ganz abgesehen von der Einwanderung, eine stärkere natürlicheBevölkcrungszunahme, die auf einem stärkeren Überschuß der Geburtenüber die Todesfälle, auf den durch die besseren wirtschaftlichen Aus-sichten ermöglichten früheren und zahlreicheren Eheschließungen und aufdem größeren Kinderreichtum der Ehen beruhen.

Der ganze Entwicklungsprozeß wird nun durch folgenden Um-stand erheblich kompliziert:

Solange sich der Ausgleich der Bevölkerung und der Kapitaliennicht vollzogen hat, stellt die Verschiedenheit der Bevölkerungsdichtig-keit und des Kapitalreichtums in sich selbst einen überaus wichtigenUnterschied in den Produktionsbedingungen dar. Ich habe Ihnen jaim letzten Vortrag ausführlich dargestellt, daß die Verschiedenheit derProdnktionsbedingungen nicht nur auf den natürlichen Verhältnissender einzelnen Länder, ihrer geographischen Beschaffenheit, ihrer Boden-fruchtbarkeit und ihrem Mineralreichtum beruht, sondern auch ingroßem Umfang auf dem Stand und den Eigenschaften der Bevölke-rung und auf der Kapitalansammlung; daß jede Industrie größerenStils eine vorgeschrittene Anhäufung von Bevölkerung und Kapitalzur Voraussetzung hat, während andererseits bei dünner Bevölkerungund geringem Kapitalreichtum die wenig Hände und Kapitalien er-fordernde extensive Landwirtschaft der am meisten lohnende Erwerbs-zweig ist.

In dieser Abhängigkeit der Produktionszweige von der Dichtigkeitder Bevölkerung und in dem noch nicht annähernd vollzogenen Aus-gleich der Kapitalien und der menschlichen Arbeitskräfte zwischen den