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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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alten und den neuen Ländern liegt von den natürlichen Ver-schiedenheiten der Produktionsbedingungen abgesehen zu einemguten Teil der Schlüssel sür die moderne Entwicklung der inter-nationalen Arbeitsteilung, welche die alten Länder, soweit ihnen nichtdie natürlichen Voraussetzungen fehlen, zu sogenanntenIndustrie-staaten" hat werden lassen.

Das WortIndustriestaat" ist in der handelspolitischen Polemikzu einem Schlagwort schlimmster Sorte geworden. Namentlich dieagrarischen Agitatoren haben mit dem WortIndustriestaat" eineFülle der erschrecklichsten Vorstellungen verbunden; für sie bedeutetder Industriestaat die Vernichtung der Landwirtschaft, die Untergrabungder auf dem Bauernstand beruhenden deutschen Wehrkraft, die Preis-gabe des königstreuen Mittelstandes, die schrankenlose Erweiterungder socialen Gegensätze, kurz die Zerstörung der Fundamente, auf denenStaat und Königtum beruhen.

Wir stellen zunächst alle diese mit dem Wort Industriestaat ver-knüpften Schreckbilder zurück, um nüchtern zu erwägen, welcher ver-nünftige Begriff sich mit dem Wort Industriestaat verbinden läßt,und wie sich bisher die Verhältnisse in den sog. Industriestaaten ent-wickelt haben.

Als Industriestaaten können wir diejenigen Länder bezeichnen,bei welchen in der Ausfuhr die Jndustrieerzeugnisse, in der Einfuhrdie Rohstoffe und Nahrungsmittel überwiegen; Rohstoffstaaten hatman umgekehrt diejenigen Länder genannt, die mehr Fabrikate ein-führen als ausführen und mehr Rohstoffe und Nahrungsmittel aus-führen als einführen. Wenn wir aber diese Unterscheidung machen,dann gehört Deutschland heute bereits ganz und gar zu den Industrie-staaten. Deutschlands Außenhandel hatte im Jahre 1899 ^ folgendeGestalt:

Nahrungsmittel, Genußmittel und Vieh wurden eingeführt für 1728Millionen Mk., ausgeführt für 479 Millionen Mk. Der Überschußder Einfuhr betrug mithin etwa 1250 Millionen Mk., 1'/4 Milliarde! Rohstoffe zur Verarbeitung wurden eingeführt für 2607 MillionenMark, ausgeführt für 1016 Millionen Mk. Die Mehreinfuhr betrugmithin etwa 1590 Millionen Mk, Dagegegen betrug die Ausfuhrvon Fabrikaten 2712 Millionen Mk., bei einer Einfuhr von nur

i Für 1900 liegen die definitiven Zahlen noch nicht vor.