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Wir haben es bei dem Merkantilsystem nicht mit einer geschlossenenTheorie zu thun, sondern mit einer Reihe verwandter volkswirtschaft-licher Ideen und wirtschaftspolitischer Maßregeln. die von den ver-schiedensten Schriftstellern — mit größeren oder kleineren Abweichungenim einzelnen — vertreten, und von den verschiedensten Staatsmännernin die Praxis umgesetzt worden sind.
Wenn wir nach dem Kern dieses ganzen Kreises von volkswirt-schaftlichen Vorstellungen suchen, nach dem Mittelpunkt, an den sichder ganze Jdeenkreis gewissermaßen ankrystallisierte, so finden wir ihn vorallem in einer Verkennung, in einer starken Überschätzung des Wesensdes Geldes und der wirtschaftlichen Bedeutung der Edelmetalle. Wennselbst noch in unserer Zeit, nach einer jahrhundertelangen Schulung desvolkswirtschaftlichen Denkens, nachdem die Beschäftigung mit wirtschaft-lichen Dingen Allgemeingut geworden und nachdem durch große Parteien,die in der Hauptsache wirtschaftliche Zwecke verfolgen, die Erörterungwirtschaftspolitischer Fragen in die weitesten Kreise der Bevölkerunggetragen worden ist, — wenn unter diesen Umständen selbst heute nochfür viele der Begriff „Geld" und „Reichtum" ineinanderfließt, ist esda zu verwundern, daß diese Vermengung der Begriffe in jener Zeit dieGeister beherrschte, in der die schwerfällige Natural- und Tauschwirt-schaft durch die Geldwirtschaft allmählich zurückgedrängt wurde, in derdas Geld thatsächlich die Verkörperung des wirtschaftlichen Fortschrittesdarstellte? und ist es zu verwundern, wenn die Vermengung der Be-griffe „Geld" und „Reichtum" sich am schärfsten ausprägte zu einerZeit, in der sich ein gewaltiger Strom von Edelmetall über die altenKulturländer ergoß, in welcher der Handel mit den überseeischenWunderländern allen Staaten, die Teil an ihm hatten, mit Goldund Silber auch Reichtum und Macht spendete? Man sah Geld undReichtum als ein und dasselbe an, und die Folgerung, die sich darausfür die Handelspolitik ergab, war, daß der auswärtige Handel vorallem die Aufgabe habe, dem Lande Goli> und Silber zuzuführen,und daß er niemals den Bestand des Landes an Edelmetall verringerndürfe. Daß die Edelmetalle nur einen kleinen Teil des Volksreichtumsausmachen, daß neben ihnen der Boden, die Verkehrseinrichtungen,die in Industrie und Landwirtschaft arbeitenden Kapitalien, die zahl-reichen Warenvorräte aller Art Reichtum sind und teilweise Reichtumschaffen, daß das Geld selbst nur die Bedeutung hat, daß man imAustausch gegeu dasselbe alle diese andern Dinge erhalten kann, auf