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Handelspolitik befreit werden müsse, daß ihr vor allem Handels-freiheit gewährt werden müsse, nämlich Befreiung von allen Ausfuhr-erschwerungen und Ausfuhrverboten für ihre Erzeugnisse.
Aber auch von einem andern und tieferen Ausgangspunkte aus,als von seiner Produktivitätstheorie, kam Quesnay zur Forderungder Handelsfreiheit. Er unterschied zwischen einer „natürlichen" und„positiven Ordnung" der menschlichen Gesellschaft; erstere bestehe inden von der Vorsehung gegebenen Physischen und moralischen Gesetzen,die unveränderlich und gut seien; letztere, die positive, von Menschengeschaffene Ordnung müsse sich möglichst der natürlichen Ordnunganzupassen suchen und deshalb den in der natürlichen Ordnung ge-gebenen Kräften möglichst freien Spielraum gestatten; die für dieVolkswirtschaft vorteilhafteste Handelspolitik sei deshalb die volleFreiheit der Konkurrenz nach innen und außen.
Quesnah gewann seiner Theorie zahlreiche Anhänger, die ihn be-geistert verehrten; sein hervorragendster Schüler war Turgot , derunter Ludwig XVI. von 1774 bis 1776 Finanzminister war und sichin dieser kurzen Zeit energisch in dem freiheitlichen Sinn der neuenSchule bethätigte. Er beseitigte die Zünste und Innungen und hobdie Frondienste auf, aber alle diese Maßregeln wurden nach seinemSturz wieder rückgängig gemacht.
Turgot hat außerdem die phhsiokratische Lehre theoretisch weitergebaut, und zwar durchaus in der Richtung der Forderung der freienwirtschaftlichen Bethätigung der Individuen, der freien Konkurrenzund des freien Handels.
Ungefähr gleichzeitig mit der Entwicklung dieses Jdeenkreises inFrankreich wurde in England das Merkantilshstem in seinen Grund-gedanken einer scharfsinnigen und durchdringenden Kritik unterzogen.Die Kritik setzte ein bei der Überschätzung des Geldes und der Edel-metalle. Man erkannte, daß Gold und Silber nur einen geringenTeil des Volksreichtums ausmachen, und daß gar kein volkswirtschaft-liches Interesse daran besteht, in einem Land mehr Geld anzuhäufen,als zur Bewältigung der Umsätze notwendig ist. Man sah ein, daß,wer Waren importiert und Geld dasür hingiebt, dies nur thut, wenndie Ware für ihn mehr wert ist als das Geld, daß mithin das Landnicht ärmer wird, sondern gewinnt, auch wenn Geld außer Landesgeht. Dieser Gedanke führte sofort zu einer Berichtigung der Theorievon der Handelsbilanz. Da das Geld nur als eine unter vielen Formen