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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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nationalen Arbeit in beiden Ländern, wahrend die Erschwerung desAußenhandels durch Zölle und ähnliche Mittel den Ertrag beiderVolkswirtschaften schmälern müßte.

Sie sehen, die Freihandelstheorie hat nicht, wie von ihrenGegnern so oft behauptet wird, speciell das Interesse des Handels,das Interesse der Kaufleute, die den Verkehr zwischen Inland undAusland vermitteln, zum Ausgangspunkt, sondern das Wohl der Ge-samtheit. Freilich sind gerade diejenigen Kaufleute, die unmittelbaram ausländischen Handel beteiligt sind, in erster Linie interessiertdaran, daß ihrer freien Bethätigung von seiten des Staates möglichstwenig Hindernisse entgegengestellt werden, und dieses Interesse desKaufmanns an Bewegungsfreiheit ist sicherlich ebenso berechtigt undlegitim, wie das Interesse aller anderen Berufszweige au der freienBethätigung ihrer Kräfte. Als die französische Landwirtschaft unterdem Colbertschen Merkantilsystem sich in ihrer Entfaltung durchAusfuhrverbote für ihre Produkte gehemmt sah, da rief sie uach Frei-heit des Handels. Solange die deutsche Landwirtschaft mehr Getreideproduzierte, als der deutsche Markt aufnehmen konnte, solange sie zurvollen Ausnutzung ihrer produktiven Kräfte auf den Weltmarkt an-gewiesen war, solange waren die deutschen Agrarier Freihändler. Siesind erst ins schutzzöllnerische Lager übergegangen, als sie die Konkurrenzdes Auslandes, namentlich der neu ausgeschlossenen überseeischen Ge-biete, auf dem deutschen Markte selbst empfanden; da riefen sie nachSchutz vor der ausländischen Konkurrenz. Wer will es unter diesenUmständen dem ausländischen Handel, der Seeschiffahrt und allen Er-werbszweigen, die damit zusammenhängen, verdenken, wenn sie ver-langen, daß ihnen nicht durch staatliche Maßnahmen Luft und Lichtfür ihre freie Entfaltung beschränkt werde?

Aber, ich wiederhole, es waren keineswegs die Interessen desHandelsstandes, deren Vertretung zur Freihandelstheorie geführt hätte.Die Freihandelstheorie unterscheidet sich vielmehr von der in denheutigen handelspolitischen Kämpfen leider vorwiegenden Methodedadurch, daß sie nicht vom Interesse irgend eines bestimmten Berufs-zweigs ausgeht, sondern daß sie die gesamte Volkswirtschaft als einGanzes betrachtet und die Jnterefsen dieser Gesamtheit an einemmöglichst hohen Ertrag, an einem möglichst großen Zuwachs an Wohl-stand und Reichtum durchaus in den Vordergrund stellt und daß siedie Sonderintercssen einzelner Personen, Klassen und Berufe durchausden Interessen der Gesamtheit unterordnet.