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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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Gerade darin lag die große werbende Kraft, die das Freihandels-system lange Zeit hindurch auf die edelsten und besten Geister aus-geübt hat. Es eroberte sich in den letzten Jahrzehnten des 18. undin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gleichzeitig mit der Er-starkung aller liberalen politischen und wirtschaftlichen Ideen, fastdeu ganzen Kreis der gebildeten Welt und der Wissenschaft.

In der Praxis konnte sich der Gedanke der Handelsfreiheit erstnach langen Kämpfen mit den ihm im Wege stehenden Sonderinter-essen der einzelnen Produktionszweige einige Geltung verschaffen. AlsAdam Smith seine freiheitlichen Grundsätze über die Handelspolitikentwickelte, war England mit einem geschlossenen Kreis von hohenSchutzzöllen auf alle wichtigen Produkte sowohl der Industrie alsauch der Landwirtschaft umgeben. Der Einfluß der großen englischenGrundbesitzer war, wie ich in meinem letzten Vortrag bereits erwähnte,schon frühzeitig stark genug gewesen, um neben den auf merkan-tilistifchen Grundsätzen beruhenden Industrie-Einfuhrzöllen auch Zölleauf die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte durchzusetzen, die eigentlichmit dem leitenden Prinzip des Merkantilsystems in Widerspruch standen.Kurz nach dem Erscheinen von Adam Smiths Hauptwerk hatte esden Anschein, als wollte die englische Handelspolitik in ein liberaleresFahrwasser einlenken. Im Jahre 1786 kam zwischen Frankreich undEngland der sog.Eden-Vertrag" zu stände, der das bisherige Ab-sperrungssystem der beiden Länder nicht unwesentlich abmilderte. Aberdie kriegerischen Verwicklungen nach dem Ausbruch der französischenRevolution, die sich gleichzeitig zu einem Kampf um die Seeherrschaftund die Haudelssuprematie zwischen England und Frankreich zuspitzten,bewirkten, daß der einmalige Anlauf ohne Folgen blieb, ja daß dasSystem der gegenseitigen Absperrung in der Kontinentalsperre diedenkbar schärfste Form eines Handelskrieges annahm.

Erst nachdem diese großen Kämpfe überwunden waren, ging inEngland die Saat der Freihandelstheoretiker allmählich auf. Es be-gann sich eine lebhafte Agitation für Handelsfreiheit zu regen. Von1822 an fetzten die gesetzgeberischen Reformen nach dieser Richtung ein.Damals betrugen die Einfuhrzölle auf die wichtigsten Fabrikate noch50 -80".» vom Wert, und außerdem bestanden noch Einsuhr- undAusfuhrverbote. Der agrarische Schutzzoll hatte gerade in den erstenJahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch große Triumphe gefeiert. Erwar im Jahre 1804 beträchtlich erhöht worden, und im Jahre 1815