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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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Steigerung der Produktivität wird also von List nicht ausschließlichauf dem Weg des Freihandels, sondern auf dem Weg der Erziehungder produktiven Kräfte unter dem Schutz von Einfuhrzöllen erstrebt;und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß alle Staaten, die eineneue Industrie großziehen wollen, genötigt sein werden, diese in ihremEntwicklungsstadium vor der Vernichtung durch die ältere und deshalbüberlegene ausländische Konkurrenz zu schützen. Aber das letzteZiel des Listschen Schutzzolls ist, sich selbst überflüssigzu machen. Sobald der Erziehungszoll seinen Zweck erreicht hat,soll die Industrie im freien Wettbewerb mit dem Ausland ihre Kräftestählen und weiterbilden.

Ein Überblick über die ganze Wirtschaftsgeschichte zeigt, daß stetsdie einzelnen Länder zur Heranbildung einer Industrie den von Listtheoretisch dargelegten Weg betreten haben, und daß überall auf diesemWeg gewisse Erfolge erzielt worden sind. Aber nicht entfernt alleSchutzzölle und alle Protektionistischen Bestrebungen lassen sich durchdie Listsche Theorie rechtfertigen. Denn nach dieser hat, das mußimmer im Auge behalten werden, der Schutzzoll nur die bedingteBerechtigung als Mittel zum Zweck der Ausbildung produktiverKräfte; in Wirklichkeit aber sind die Schutzzollbestrebungen meisthervorgegangen aus den Sonderinteressen der einzelnen Erwerbszweige,die sich die Konkurrenz des Auslandes möglichst weit vom Leibe haltenwollen.

Daran hat auch die Listsche Schutzzollthcorie nichts geändert. IhreBedeutung liegt so gut wie ausschließlich auf rein wissenschaftlichemFeld; hier ist sie die einzige geschlossene und innerhalb der von ihremUrheber selbst gezogenen Grenzen berechtigte Vertretung des Schutzzoll-gedankens. Aber ihr Einfluß auf die praktische Handelspolitik war sogering, daß gerade in den Jahrzehnten nach dem Erscheinen desWerkes von List über das nationale System der politischen Ökonomieder Gedanke der Handelsfreiheit in Europa seine größten Fortschrittezu verzeichnen hatte; und wenn dann etwa seit dem Ende der 70erJahre fast überall wieder eine schutzzöllncrische Reaktion eingetretenist, dann war es nicht der Geist von Friedrich List , der in dieserReaktion war.

Auch List hatte ebenso wie Adam Smith und seine Schule immerdie möglichst reichliche Versorgung der Gesamtheit im Auge; es warja gerade sein Zweck, die Versorgung der Gesamtheit durch ein vor-