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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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Grundlage gestellt werden. Dasselbe Interesse, das Rußland daranhat, in Deutschland nicht zu ungünstigeren Bedingungen mit seinemGetreide zugelassen zu sein, als etwa Österreich oder Amerika , dasselbeInteresse hat die deutsche Maschinenindustrie oder Lederindustriedaran, daß ihre Waren von Rußland nicht mit einem höheren Eingangs-zoll belastet werden, als diejenigen französischer oder englischer Her-kunft. Deshalb werden im allgemeinen stets beide vertragschließendeLänder, wenn sie ihre Gesamtinteressen als maßgebend ansehen, beieinem Handelsvertrag ihren Vorteil finden. Allerdings, ein Handels-vertrag, mit dem alle die sich bekämpfenden und widerstreitenden Einzel-interessen innerhalb eines Staates zufrieden sind, ist eine Utopie, dennohne Konzession kein Vorteil.

Die Beschränkung der handelspolitischen Autonomie durch Handels-verträge kann dem Grade nach sehr verschieden sein.

Einmal nach der Zeit, auf welche die Handelsverträge abgeschlossenwerden. Handelsverträge, die jederzeit unter Jnnehaltung einer kurz-bemessenen Kündigungsfrist aufgehoben werden können, lassen der Au-tonomie einen sehr viel freieren Spielraum, als Handelsverträge auslängere, etwa 10 und 12 jährige Fristen, oder gar als die ohne jedezeitliche Begrenzung abgeschlossenen sog. ewigen Handelsverträge. Aberdem Vorteil der freieren Bewegung bei den kurzfristigen Verträgensteht das vitale Interesse der Volkswirtschaft an stabilen nnd für längereZeit gesicherten Grundlagen für den Handelsverkehr entgegen. JedesMoment der Unsicherheit ist der Entwicklung geregelter und sür beideTeil vorteilhafter Beziehungen im Wege; uud natürlich binden sich diefremden Staaten nur für so lange, wie wir uns auch binden. Diegeringere Einschränkung der zollpolitischen Autonomie durch kurze Kün-digungsfristen läßt sich nur unter Preisgabe dieses ganz besonderswichtigen Vorteils der vertragsmäßigen Regelung erreichen.

Ebenso wie durch ihre Dauer können die Handelsverträge auch durchihren Inhalt die zollpolitische Autonomie in sehr verschiedenem Gradebeschränken. Der wichtigste Unterschied in dieser Beziehung ist derzwischen Meistbegünstigungsvcrträgen und Tarifverträgen.

Das Wesen der Meistbegünstigungsverträge oder der Meist-begünstigungsklausel innerhalb eines Handelsvertrags besteht darin,daß die vertragenden Staaten sich zusagen, ihre Angehörigen, Warenund Schiffe gegenseitig nicht ungünstiger behandeln zu wollen, als die-jenigen dritter Staaten. Bei reinen Meistbegünstigungsverträgen bleiben