Druckschrift 
Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
Entstehung
Seite
97
Einzelbild herunterladen
 
  

97

die kontrahierenden Staaten in Bezug auf die Festsetzung ihrer Zollsätzeautonom; sie können ihren Zolltarif beliebig verändern, nur dürfensie die Waren aus dem meistbegünstigten Staat nicht mit höherenZöllen belegen, als diejenigen aus irgend welchen andern Ländern.

Die Ausdehnung der Meistbegünstigung kann mehr oder minderbeschränkt sein. Die vor 1860 abgeschlossenen Verträge enthielten meistnur eine bedingte Meistbegünstigung, in dem Sinn, daß sich dieVertragsstaaten nur diejenigen Begünstigungen gegenüber drittenStaaten ohne weiteres zusagten, die nicht durch ganz bestimmte Gegen-leistungen seitens des dritten Staates erkauft würden. In diesem Sinnlegen die Vereinigten Staaten bekanntlich ihren vielumstrittenen Vertragmit dem Deutschen Zollverein bezw. mit Preußen aus. ^ Die neuerenMeistbegünstigungsklauseln sind meist unbedingt. Die meistbegünstigtenStaaten werden ohne weiteres aller Vorteile teilhaftig, die andernStaaten zugesichert werden. Wenn z. B. Deutschland mit Argentinieneinen Meistbegünstigungsvertrag hat, und es schließt mit Rußland einen Tarifvertrag, der die Zollsätze Rußland gegenüber ermäßigt, sotreten diese Ermäßigungen ohne weiteres Argentinien gegenüber inKraft. Argentinien aber, das nur Meistbegünstigungsverträge und keineTarifverträge abgeschlossen hat, kann seine Zollsätze beliebig erhöhen,ohne daß Deutschland mit Zollerhöhungen antworten kann.

In Anbetracht dieser Thatsache ist es erklärlich, daß vielfachdie Meistbegünstigungsverträge sehr ungünstig beurteilt und daß An-träge auf ihre Kündigung laut werden. Aber es wird dabei in derRegel ein wichtiger Umstand vergessen. Bei dem deutschen Handelmit Argentinien und andern Ländern, vor allem mit den Ver-einigten Staaten , kommt es zwar natürlich auch auf die absoluteHöhe der Zollsätze an, das kann nicht bestritten werden; aber nochweit mehr kommt es darauf an, daß Deutschland nicht mit höherenZollsätzen belastet wird, als die übrigen mit ihm konkurrierendenStaaten. Eine Zollerhöhung in den Vereinigten Staaten und inArgentinien kann den deutschen Export dorthin einschränken; eine so-genannte differentielle Behandlung der deutschen Einfuhr aber müßteden deutschen Export vernichten und den Absatzmarkt den Franzosen ,Engländern u. s. w. ausliefern. Also wenn wir auch ein großesInteresse an niedrigen Zollsätzen für unsre Ausfuhrwaren haben, soist unser Interesse an gleichen Zollsätzen, wie denjenigen für Warenaus andern Ländern, doch noch erheblich größer. Es wäre ja am besten,

Hclff er ich, Handelspolitik, 7