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namentlich gegenüber der Vormacht Preußen auch wirtschaftspolitischeGegensätze zwischen dem Norden und Süden hinzukamen. Preußen warfreihändlerisch. Seine für die Handelspolitik maßgebenden Staats-männer waren Freihändler aus theoretischer Überzeugung, wie damalsfast ausnahmslos die Beamten- und Gelehrtenwelt, die stark unter demEinfluß der britischen Nationalökonomie stand. Die politisch einfluß-reichste und damals auch wirtschaftlich wichtigste Klasse, die landwirt-schaftlichen Grundbesitzer, waren Freihändler aus Interesse, solangesie den Export, namentlich nach England , lohnend fanden und solangesie eine ausländische Getreidekonkurrenz auf dem inneren deutschenMarkt nicht zu fürchten hatten; sie waren interessiert am ungehindertenExport und außerdem am billigen Bezug von Jndustrieerzeugnifsen,der ihnen durch freie Einfuhr am sichersten gewährleistet wurde.Der deutsche Süden dagegen, der bereits erhebliche industrielle In-teressen hatte, war protektionistisch gesinnt. Namentlich die Spinnereienhaben stets einen ausgiebigen Zollschutz für ihre Fabrikate verlangt;und Friedrich List , der angesehene Vorkämpfer einer deutschen Zoll-einigung, hat mit seiner Schutzzolltheorie diesen Bestrebungen Vorschubgeleistet. Stoff zu Reibungen war also genug vorhanden, und in derThat hat in der Folgezeit jede bedeutsame Fortbildung des Zoll-vereins und seines Tarifs nur unter schweren Krisen durchgeführtwerden können.
Die Kraft, welche den Zollverein auch späterhin in den schlimmstenStürmen über Wasser hielt, war seine absolute Unentbehrlichkeit, dieder praktischen Geschäftswelt in Fleisch und Blut übergegangen war.Ein Zurück in den alten Jammer der zollpolitischen Zersplitterungerschien als gänzlich undenkbar, und keine deutsche Regierung hätte eswagen können, es wirklich bis zum letzten Augenblick auf eine Auf-lösung des Vereins ankommen zu lassen.
Dazu kam ferner der Umstand, daß die Zolleinkünfte für die be-teiligten Einzelstaaten bald ein unentbehrlicher Teil ihrer Einnahmenwurden. Je größer das Zollgebiet, desto geringer die Verwaltungs-kosten im Verhältnis zum Zollertrag, desto größer der Reinertrag derZölle; und dieser Vorteil hatte sich sür die Einzelstaaten sehr baldüberaus angenehm fühlbar gemacht. So hat auch das finanzielleInteresse der Partikularstaaten stets als Bindemittel gewirkt und inschwierigen Krisen dazu beigetragen, ein Auseinanderfallen des Zoll-vereins zu verhüten.