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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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internationalen Politik diente. Die eigentliche Leitung der handels-politischen und zollpolitischen Fragen hatte er ganz und garRudolph von Delbrück überlassen, in dessen Verständnis, Sach-kenntnis und Klugheit er das vollste Vertrauen setzte, Delbrück warnun seiner ganzen Überzeugung nach durchaus Anhänger der Handels-freiheit. Es ist freilich billig, ihm deshalb wie es seither so oftgeschehen ist, den Vorwurf zu machen, er sei ein Doktrinär gewesenund habe blind die Prinzipien der englischen Freihandelslehre auf diedeutschen Verhältnisse anzuwenden versucht. Wenn man gerecht seinwill, dann muß man zugeben, daß Delbrück sich für seine Überzeugungund für die seiner Überzeugung entsprechende Handelspolitik auf diepraktischen Erfolge berufen konnte, welche die der Handelsfreiheit zu-neigende Politik für die deutsche Volkswirtschaft gezeitigt hatte.

Die erste Gelegenheit zu einer Fortbildung des Zolltarifs in derRichtung auf die Handelsfreiheit nach der Reorganisation des Zoll-vereins im Jahre 1867 bot sich bei der Erneuerung des durch denKrieg zerrissenen Handelsvertrags mit Österreich . Durch einen neuenVertrag, der 1868 zu stände kam, wurden abermals wichtige Zoll-ermäßigungen eingeführt, namentlich für Wein, Eisen und Leinengarn.Gleichzeitig mit diesem Vertrag wurde jedoch außerdem dem Zoll-parlament ein Gesetzentwurf vorgelegt, der im Anschluß au den öster-reichischen Vertrag eine erhebliche Vereinfachung des Zolltarifs herbei-führen und nach dem Vorbild Englands die Überführung des ganzenZollwesens von Schutzzöllen zu reinen Finanzzöllen anbahnen sollte-Für 45 Warengruppen sollte vollständige Zollfreiheit, für 12 weitereeine erhebliche Zollreduktion Platz greifen.

Aber soweit wurde die freihändlerische Gesinnung der Regierungvon derjenigen des Parlamentes und der öffentlichen Meinung über-troffen, daß die Vorlage zweimal daran scheiterte, daß sogar die reinenFinanzzölle, welche zur Deckung des durch die übrigen Zollermäßigungenentstehenden Einnahmeausfalls eingeführt werden sollten, so nament-lich der Zoll auf Petroleum , von der freihändlerischen Mehrheit desParlaments abgelehnt wurden ^. Erst im Jahre 1870, nachdem dieRegierung auf den Petroleumzoll verzichtet hatte, kam das neue Zoll-gesetz zu stände. Die ganze beträchtliche Zollermäßigung, die es ent-hielt, wurde eingeführt auf dem Wege der autonomen Zollgesetzgebung,

' Auch politische Bedenken spielten dabei mit; vergl. Lotz, a. a. O., S, 91.