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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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im Inland einen immer größeren Absatz fanden, teils weil sie demWettbewerb der überseeischen Konkurrenz aus dem englischen Marktenicht mehr gewachsen waren. Auch auf dem deutschen Markte erfuhrendie Landwirte immer stärker den Druck der Konkurrenz des Auslandes,namentlich Rußlands .

Durch diesen Umschwung erfuhren die handelspolitischen Interessender Agrarier eine gänzliche Verschiebung. Während sie bisher in-teressiert gewesen waren an der Leichtigkeit des Exports und währendsie sich nicht gewillt gezeigt hatten, sich die Exportbedingungen ver-schlechtern zu lassen durch Gegenmaßregeln des Auslandes, die durchhohe deutsche Jndustriezöllc hätten hervorgerufen werden können, er-kannten sie jetzt mit einem Mal ihr überwiegendes Interesse in derBeschränkung der Einsuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen.

Die Sinnesänderung der Agrarier vollzog sich so rasch, daß diegeschworenen Freihändler von 1876, der Verein der Steuer- undWirtschastsreformer, bereits im Herbst 1877 sich mit den industriellenSchutzzöllnern des Centralverbandes über ein gemeinschaftliches Vor-gehen zu verständigen suchten.

Zu dieser tief einschneidenden Wandlung in der Konstellation derpraktischen Interessen und der wirtschaftspolitischen Majoritäten kamfür Bismarck noch ein überaus wichtiges finanzpolitisches Moment.Die Finanzlage des Deutschen Reichs hatte sich von Jahr zu Jahrverschlechtert. Die fortgesetzt steigenden Ausgaben nötigten dazu, dieEinzelstaaten in wachsendem Maße mit Matrikularbeiträgen heran-zuziehen, so daß es immer mehr als notwendig erschien, dem Reicheigene Einnahmequellen zu erschließen. Da Bismarck den Gedankendirekter Reichssteuern unbedingt verwarf, erschien als das einzigeMittel zur Herstellung des Gleichgewichts im Reichsetat eine Reformder Steuern und Zölle. Mit dieser Reform wünschte Bismarck dieVerwirklichung seiner handelspolitischen Ziele so weit wie möglich zuverbinden.

Die Schwierigkeiten, auf die er dabei bei den andern Mitgliedernder Regierung stieß, veranlaßten ihn Ende März 1877, ein Abschieds-gesuch einzureichen, und nachdem diese Krisis beigelegt war, fandenseine gegen die französischen Ausfuhrvergütungen für Eisen gerichtetenEntwürfe im Reichstage noch eine große Mehrheit von Gegnern.Aber Bismarck ließ trotzdem seine Projekte nicht fallen, sondern ver-folgte sie mit verdoppelter Energie, nachdem der Finanzminister