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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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der Industrie und des Handels. Die Berufszählungen von 1882 und1895, die ungefähr den hier in Betracht kommenden Zeitraum umfassen,zeigen einen leichten Rückgang der landwirtschaftlichen Bevölkerung, da-gegen eine starke Zunahme der Bevölkerung in Industrie und HandelsDie Industrie aber, die sich immer mehr zur Gleichwertigkeitoder selbst zur Überlegenheit gegenüber derjenigen des Auslandes ent-wickelte, hat das Interesse an einer Beschränkung der Einsuhr zu einemgroßen Teil verloren und im gleichen Maße ein wachsendes Interessean der Erleichterung der Ausfuhr gewonnen. Während bis zur Mitteder 70 er Jahre ein Teil der Großindustrie in Deutschland alleinder Träger des Schutzzollgedankens gewesen war, während noch dieReform des Jahres 1879 den Interessen einzelner Industriezweigewesentliche Dienste geleistet hatte, hat im weiteren Verlauf gerade diedeutsche Industrie die internationale Hochflut des Protektionismusimmer lästiger empfunden, und die ehemals freihändlerischen Agrariersind an ihre Stelle als Vorkämpfer der Absperrung vom Auslandgetreten.

Als Fürst Bismarck im Jahre 1890 von seinem Amte zurücktrat,war die gesamte handelspolitische Lage außerordentlich zerfahren undverwickelt. Sein Nachfolger, Caprivi, fand eine ungewöhnlichschwierige Aufgabe vor. Daß es auf dem bisherigen Wege des gegen-seitigen Hinauftreibens der Zölle nicht weiter gehen konnte, war klar.Aber wie sollte nach den jahrelangen handelspolitischen Kämpfen einAusweg aus dem vorhandenen unhaltbaren Zustand gefunden werden!

Die Lage wurde noch kompliziert dadurch, daß die französischenTarifverträge alle am 2. Februar 1892 abliefen, und daß in Frank-reich keine Geneigtheit bestand, diese Verträge auf ihrer bisherigenBasis zu erneuern. Von diesen Verträgen aber hatte Deutschland ,das fast nur noch Meistbegünstignngsverträge hatte, dadurch eineugroßen Nutzen gezogen, daß es infolge der Meistbegünstigung der Vor-teile, die andere Länder in Frankreich und Frankreich in andernLändern auf Grund von Tarifverträgen genossen, gleichfalls teilhaftigwurde. Aus dem Wegfall der französischen Tarifverträge hatte mit-hin Deutschland schwere Schädigungen zu erwarten; und in der Thatbereiteten sich selbst solche Staaten, die prinzipiell mehr auf der Seiteder Handelsfreiheit standen, wie die Schweiz , zu den bevorstehenden

' Vergl. oben S. 34.