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Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
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ältere Abmachungen, vorwiegend Meistbegünstigungsverträge, vorliegen,wird durch jede wesentliche Änderung unsrer mitteleuropäischen Handels-verträge stark in Mitleidenschaft gezogen werden.

Vor allem kommen hier in Betracht unsre Beziehungen zu Eng-land , das in unsrer Ausfuhr den ersten Platz einnimmt, und zu denVereinigten Staaten , die in unsrer Einsuhr an erster Stelle stehen.

Unser handelspolitisches Verhältnis zu England und zu seinemKolonialreich war bis zum 30. Juli 1898 geregelt durch den Handels-vertrag, der am 30. Mai 1865 zwischen dem Zollverein und Groß-britannien abgeschlossen worden war. Dieser Vertrag sicherte Deutsch-land die Meistbegünstigung sowohl in England als auch in den eng-lischen Kolonien, mit der Maßgabe, daß die Erzeugnisse Deutschlands in den britischen Kolonien und Besitzungen keinen höheren und andernEingangsabgaben unterliegen sollten als die Produkte des VereinigtenKönigreichs selbst. Dieser Vertrag wurde von England im Jahre 1897gekündigt, da ein Teil der Kolonien, namentlich Kanada, einen engerenhandelspolitischen Anschluß an Großbritannien wünschte. Kanada hatvon der ihm durch die Kündigung des Vertrags gewährten Be-wegungsfreiheit sofort Gebrauch gemacht und die Zölle auf britischeProdukte um ein Viertel, vom 1. Juli 1900 au sogar um ein Drittelgegenüber den Zöllen auf Produkte andrer Staaten ermäßigt.

Zwischen Deutschland und England besteht seit dem 30, Juli 1898nur eine provisorische Abmachung, die auf ein Jahr abgeschlossen undseither bei ihrem Ablauf stets um ein weiteres Jahr verlängert wordenist. Auf Grund dieses Abkommens behandeln sich das Deutsche Reicheinerseits, Großbritannien und seine Kolonien (außer Kanada undBarbados ) andrerseits, auf dem Fuß der Meistbegünstigung. Einerneuen definitiven Regelung der beiderseitigen Verkehrsbeziehnngen stehengroße Schwierigkeiten entgegen, da England in einem künstigen Ver-trag offenbar seine Kolonien nicht binden will, während die deutscheRegierung anscheinend nicht gewillt ist, ohne weiteres auf die Gleich-stellung Deutschlands mit England in den britischen Kolonien zu ver-zichten. Andrerseits ist der Handel zwischen Deutschland und England ein so bedeutender, daß hier wie dort umfangreiche und gewichtigeInteressen die Erhaltung guter Verkehrsbeziehungen gebieterisch ver-langen. Nach welcher Richtung hin der provisorische Zustand in einendefinitiven übergeführt werden wird, das hängt jetzt in allerersterReihe ab von der Entscheidung, die beim Ablauf der mitteleuropäischen