— 179 —
allen Produktionsinteressen in gleicher Weise Rechnung tragenden Zoll-schutzes als eine Illusion, um nicht zu sagen eine Täuschung, er-scheinen; und diese Wahrheit hat, wie wir soeben gesehen haben, ihreBedeutung nicht nur für das Verhältnis von Landwirtschaft, Industrieund Handel, sondern auch für die einzelnen Zweige der Landwirtschaftselbst. Die Interessen der Landwirtschaft sind nicht solidarisch; siekönnen auch nicht solidarisch gemacht werden durch einen sich übersämtliche Produkte der Landwirtschaft erstreckenden Zollschutz. Nurder große Grundbesitz mit seiner Massenproduktion von Getreide hätteerheblichen Vorteil von einem solchen System, der mittlere und kleinereBesitz, der heute in der agrarischen Bewegung vielfach noch die Ge-schäfte des Großbesitzes besorgt, würde sich um die erhofften Vorteilebetrogen sehen. —
Nun aber die andere Frage! Es wird immer dargestellt, als seien dieInteressen der Grundbesitzer identisch mit den Interessen derLand -Wirtschaft selbst, als müsse, wenn ein Teil der Grundbesitzer aus irgendwelchen Gründen in Schwierigkeiten gerät, auch die Landwirtschaft alssolche zu Grunde gehen; als werde durch die Zollmaßregeln, die die Renteder Grundbesitzer erhöhen, auch der Landwirtschaft schlechthin geholfen.
Daß eine Erhöhung des landwirtschaftlichen Reinertrags durchgesteigerte Zölle die augenblicklichen Grundbesitzer begünstigen würde,ist außer Zweifel; aber sie würde nur den augenblicklichen BesitzernVorteil bringen. Nach den Erfahrungen, daß der Verkehrswert desBodens stets der Erhöhung seines Reinertrags noch vorausgeeilt ist,muß man mit Sicherheit erwarten, daß die durch den gesteigertenZollschutz zu bewirkende Erhöhung der Reinerträge sich abermals äußernwürde mindestens in einer entsprechenden, vielleicht meiner mehr als ver-hältnismäßigen Steigerung der Bodenpreise. Der augenblickliche Besitzerhätte den Vorteil, daß sein Einkommen gesteigert würde, während seineSchuldzinsen sich gleich blieben, und daß er seinen Besitz zu höherenPreisen verkaufen könnte. Sobald aber beim Besitzwechsel ein höhererBodenwert zu Grunde gelegt wird, ist der neue Besitzer in derselbenNotlage, wie der alte vor der Zollerhöhung: das Mißverhältniszwischen Bodenpreis und Reinertrag, dieses Grundübel, besteht fort,und das Mißverhältnis zwischen den inländischen und ausländischenBodenpreisen, das jetzt schon stark genug ist, würde sich noch weiterverschärfen; kurz, der Zoll würde zwar eine Art Kapitalschenkung fürdie gegenwärtigen Besitzer bedeuten, aber er würde die Lage der
12*