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deutschen Landwirtschaft gerade durch die weitere Erhöhung derBodenpreise nicht nur nicht verbessern, sondern direkt verschlechtern.
Die verlangten Zollerhöhungen können mithin nicht durch dasInteresse der Landwirtschaft, ja nicht einmal durch das einheitlicheInteresse der augenblicklichen Bodenbesitzer, gerechtfertigt werden. Mitdoppelter Sorgfalt ist deshalb zu prüfen, welche Rückwirkungen dieZollerhöhnng für die landwirtschaftlichen Produkte auf die übrigenKreise der Bevölkerung ausüben würde.
Die Agrarier behaupten, nicht nur die Landwirtschaft, sondernauch die Industrie werde von der Erhöhung der Agrarzölle großeVorteile haben. „Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt", ist dasLeitmotiv für dieses Kapitel der agrarischen Argumentation, oderwissenschaftlicher ausgedrückt: der „innere Markt" sei für die gesamtenationale Produktion außerordentlich viel wichtiger als der Absatznach dem Ausland. Der „innere Markt" aber, das sind in den Augenunsrer Agrarier in erster Linie — sie selbst. Wenn sie auf diesesThema zu sprechen kommen, dann thun sie so, als ob sie in der edel-mütigsten Weise der industriellen Bevölkerung im Wege erhöhter Ge-treide- und Fleischpreise nur deshalb mehr Geld abnehmen wollten,damit sie es ihnen doppelt und dreifach durch vermehrten Ankauf vonJndustrieerzeugnissen wieder zurückerstatten können. Namentlich dieindustriellen Arbeiter, so wird immer wieder versichert, seien an derHebung der Kaufkraft des inneren Marktes vermittelst der agrarischenZollerhöhungen ganz unmittelbar interessiert; denn nur durch dievon dem guten Willen des Auslands unabhängige innere Kaufkraftsei ihnen eine dauernde und lohnende Beschäftigung gesichert, und dassei für die Arbeiterschaft unendlich viel mehr wert als niedrige Ge-treidepreise, zumal da der böse Zwischenhandel in Verbindung mitMüllern und Bäckern schon dafür sorgen würde, daß der Arbeitersein Brot doch nicht viel billiger bekomme.
Die Agrarier wollen also mit der Erhöhung der Agrarzölle nichtnur der Landwirtschaft helfen, sie wollen außerdem Socialpolitik ingroßem Stil treiben und gerade durch die Erhöhung der Korn- undViehpreise die Lage der arbeitenden Bevölkerung wirksam verbessern.
Der Gedankengang, der hier zu Grunde liegt, ist jedoch so kühn,er beruht auf so vielen zweifelhaften Voraussetzungen, daß man ihnnicht ohne nähere Prüfung passieren lassen kann.