Druckschrift 
Handelspolitik : Vorträge gehalten in Hamburg im Winter 1900/01 im Auftrag der Hamburgischen Oberschulbehörde / von Karl Helfferich
Entstehung
Seite
183
Einzelbild herunterladen
 

Klassen nicht nur relativ stärker, sondern auch mit einem absolut höherenBetrag als die günstiger gestellten Klassen. Wie hoch die Belastungder Arbeiterbevölkerung durch eine Zollerhöhung für Brotgetreide ist,ergiebt sich aus folgender Berechnung:

Das Kaiserliche statistische Amt berechnet den durchschnittlichenJahresverbrauch an Getreide für die menschliche Ernährung auf 192 kgpro Kopf für die Jahre 1894/99. Nehmen wir an, daß der Verbrauchiu der Arbeiterbevölkerung rund 200 KZ beträgt, das sind sür einefünfköpfige Familie 1000 KZ im Jahr. Der gegenwärtige Getrcidezollbeträgt 35 Mk. pro 1000 kg und belastet mithin eine Arbeiterfamiliedurchschnittlich mit diesem Betrag von 35 Mk. Eine Erhöhung auf6 Mk., wie sie von den Agrariern als das Minimum des Zulässigenbezeichnet wird, belastet die Familie mit 60 Mk. pro Jahr. Das istbei einem Einkommen von 800 Mk. eine Steuer von 7^/2°/o. bei einemEinkommen von 1000 Mk. noch eine Steuer von 6°/o; bei einemEinkommen von 5000 Mk. dagegen nur noch eine Steuer von 1,2°/»,und bei 20000 Mk. nur noch eine Steuer von 0,3 °/o.

Damit ist vom socialpolitischen Standpunkt aus das Urteil überdie Wirkung der Getreidezölle gesprochen. Wir haben gesehen, daßdie größten Grundbesitzer den Hauptvorteil von den Getreidezöllenhaben, und jetzt sehen wir, daß gerade die ärmsten Klassen am meistendurch die Getreidezölle getroffen werden. Ihre Wirkung ist mithindaß sie die Reichen reicher und die Armen ärmer machen.

Aber damit ist die Wirkung der Getreidezölle noch nicht erschöpft.Wir haben bisher angenommen, daß die Kaufkraft des inneren Markteszwar nicht steigen, aber doch dieselbe bleiben werde, wie bisher; daßdie Grundbesitzer an Kaufkraft ebensoviel gewinnen würden, wie dieübrige Bevölkerung wie wir jetzt festgestellt haben, haupsächlich dieArbeiterbevölkerung an Kaufkraft einbüßt infolge der höheren Ge-treidepreise. In Wirklichkeit aber würde die Kaufkraft des innerenMarktes nicht nur nicht steigen, sondern sogar eine ausgesprochene Ab-nahme erfahren müssen.

Wenn man die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit ins Augefaßt, dann verhält sich die Nahrung des Arbeiters zum Arbeiter selbstungefähr so, wie die Kohle zur Dampfmaschine. Die Nahrung desindustriellen Arbeiters gehört mit zu den Produktionskosten der In-dustrie. Je höher die Preise der Nahrungsmittel, desto höher dieindustriellen Produktionskosten; denn entweder müssen die Arbeits-